Suchbegriffe zu diesem Artikel: Insektengift
Hymenopteren
Auslöser von Typ I-Soforttypreaktionen
In Deutschland wurden bisher etwa 1.100 Stechimmenarten aus zehn verschiedenen Familien nachgeweisen. Von diesen sind jedoch nur etwa 40 Arten hinsichtlich ihres Abwehrverhaltens für den Menschen relevant. Es sind dies eusoziale Arten, deren Arbeiterinnen mindestens zeitweilig in hohen Dichten im unmittelbaren Lebensumfeld des Menschen vorkommen und die aufgrund ihrer Körpergröße und des Baus ihres Stachels in der Lage sind, die Haut des Menschen zu durchdringen. Sie bilden Kolonien, die ein oder mehrere fertile Weibchen (Königinnen) und deren sterile weibliche Nachkommen (Arbeiterinnen) umfassen. Die Weibchen der meisten Stechimmen besitzen einen Giftstachel, mit dessen Hilfe es den größeren Arten möglich ist, die Haut des Menschen zu durchdringen. Das dabei injizierte Gift enthält sowohl schmerzerzeugende als auch toxische Bestandteile.
Übersicht über die in Deutschland gelegentlich oder regelmäßig vorkommenden Arten der Apinae, Polistinae und Vespinae |
|||
Art |
Vorkommen im Siedlungsbereich |
max. Anzahl der Arbeiterinnen je Nest |
Flugzeit |
Apidae (Bienen) |
|||
Apinae |
|||
Apis mellifera |
regelmäßig |
> 10.000 |
2-10 |
Bombus hortorum |
regelmäßig |
100-200 |
4-7 |
Bombus hypnorum |
regelmäßig |
200-500 |
3-8 |
Bombus lapidaris |
regelmäßig |
200-500 |
4-9 |
Bombus lucorum |
regelmäßig |
200-500 |
3-8 |
Bombus pascuorum (Ackerhummel) |
regelmäßig |
100-200 |
4-10 |
Bombus pratorum |
regelmäßig |
100-200 |
3-7 |
Bombus terrestris |
regelmäßig |
500-1.000 |
2-9 |
Vespidae (Faltenwespen) |
|||
Polistinae (Feldwespen) |
|||
Polistes dominulus |
regelmäßig |
< 50 |
4-10 |
Polistes nimpha |
gelegentlich |
< 50 |
5-9 |
Vespinae (Echte Faltenwespen) |
|||
Vaspa crabro |
regelmäßig |
500-1.000 |
4-11 |
Dolichovespula media |
gelegentlich |
200-500 |
4-9 |
Dolichovespula saxonica |
regelmäßig |
200-500 |
5-9 |
Dolichovespula norwegica |
gelegentlich |
200-500 |
4-9 |
Dolichovespula sylvestris |
gelegentlich |
200-500 |
5-9 |
Vespula vulgaris |
regelmäßig |
1.000-5.000 |
4-11 |
Vespula germanica |
regelmäßig |
1.000-5.000 |
4-11 |
Vespula rufa |
gelegentlich |
200-500 |
4-9 |
Bienen (Apidae)
Hummeln (Bombus) stechen relativ selten, da die Tiere auf Störungen außerhalb des Nestes mit Fluchtverhalten reagieren und auch am Nest ein eher defensives Abwehrverhalten zeigen. Einzelne Arten können jedoch auch empfindlicher und greifen bereits bei geringen Störungen aller Art, vor allem aber Erschütterungen des Nestes an. Die meisten Hummelarten sind relativ flexibel hinsichtlich ihrs Neststandortes und können sowohl unter- als auch überirdisch nisten.
Honigbienen (Apis mellifera) bilden große, mehrjährige Völker mit bis zu 40.000 Arbeiterinnen. Die Flugzeit erstreckt sich von Ende Februar (Weidenblüte) bis Oktober. Die Arbeiterinnen besitzen am Futterplatz nur ausnahmsweise eine Angriffstendenz. Normalerweise reagieren Bienen auf Störungen beim Blütenbesuch mit Fluchverhalten. Stiche sind im allgemeinen auf unbeabsichtigte mechanische Beeinträchtigungen zurückzuführen. Bei Störungen des Nestes, das durch eine größere Zahl von Wächterinnen bewacht wird, zeigen Bienen jedoch ein ausgeprägtes Abwehrverhalten, das durch schnellbewegte Objekte, Erschütterungen des Nestes, mechanische Reizung der Tiere und die Umgebungskonzentration eines Bienen-spezifischen Alarmpheromons ausgelöst wird. Die Angriffsmotivation der Arbeiterinnen wird dabei unter anderem von genetisch bedingten Unterschieden, dem Alter der Arbeiterinnen, der Gruppengrößen, Entfernungen vom Nest (insbesondere bei Radius unter 10 m), der Witterung (schwülheißes Wetter macht Bienen aggressiver) und intrakolonialen Faktoren beeinflusst. Ist die Erregung der alarmierten Bienen groß genug, so greifen sie den Feind fliegend an. dabei attackieren sie häufiger warme, dunkle Objekte, die sich bewegen und eine rauere Oberflächenstruktur aufweisen. Ferner stimulieren eine gezackte Silhouette und haarige Konsistenz den Angriff. Auch olfaktorische Komponenten spielen eine Rolle.
Soziale Faltenwespen (Polistinae und Vespinae)
In Mitteleuropa treten Feldwespen (Poloistes), die Hornisse (Vespa crabro), Langkopfwespen (Dolichovespula) und Kurzkopfwespen (Vespula) auf. Die eigentlichen Problemarten stellen V. germanica und V. vulgaris dar. Sie entwickeln Völker mit bis zu 5000 Individuen. Wespen bauen ihre Nester im Freiland an trockenen und wärmebegünstigten, stets sonnenexponierten Stellen, im Boden, wo sie vorhandene Höhlungen in der Herde nutzen, in Baumhöhlen und im Siedlungsbereich in Vogelnistkästen oder Dachböden. Die Populationsdichte steigt im August/September stark an und sinkt erst gegen Oktober/Anfang November wieder ab.
Die Arbeiterinnen sammeln in bedeutendem Umfang z.B. Süßwaren, zuckerhaltige Getränke, Fruchtfleisch. An geeigenten Futterstellen kann es zu großen Ansammlungen von Wespen kommen, z.B. an Abfallkörben, Komposthaufen, Obstbäumen, in Bäckereien. Diese Nahrungsquellen werden jedoch fast ausschließlich von Vespula germanica und V. vulgaris augesucht. Dolichoverspula-Arten decken ihreren Energiebedarf von Blüten, vor allem der Doldenblütler, und Saft von Bäumen und Früchten. Polistes-Arten jagen überwiegend weniger mobile Tiere, wie z.B. Schmetterlingsraupen. Auf Störungen des Futterplatzes reagieren die Arten dabei unterschiedlich: Polistes-, Vespa-, und Dolichovespula-Arten fliehen normalerweise, zu Stichen kommt es nur bei zufälliger, unmittelbarer mechanischer Reizung der Tiere. Vespula vulgaris und V. germanica sind demgegenüber angriffsmotiviert und reagieren mit aggressivem Verhalten. Bei der Nestverteidigung läuft eine charakeristische Verhaltenssequenz ab, die sich aus Alarmierungsverhalen, Anflugreaktion und schließlich Stichverhalten zusammensetzt. Ist dabei die Erregung der alarmierten Wespen große genug, so greifen sie den Feind fliegend an. Dabei erfolgt die Orientierung zunächst optisch: Die Anflugreaktion wird bevorzugt von dunklen, bewegten Objekten ausgelöst und auf diese gerichtet. Außerdem orientieren sich die Arbeiterinnen zum Ort der maximalen Pheromonkonzentration hin.
Hymenopterengifte
Bei einem Bienenstich werden etwa 50 – 100 mg, bei einem Stich von Angehörigen der Gattungen Vespula oder Dolichovespula etwa 2 – 3 mg abgegeben. Beim Stich in Menschenhaut verlieren Bienen zumeist ihren Stachel mit dem anhängenden Giftapparat, während Wespen den Stachel zurückziehen können. Dies ist durch unterschiedlich stark ausgeprägte Widerhaken oder Stechborsten bedingt. Da es hiervon nicht ganz selten Ausnahmen gibt, kann der Verbleib des Stachels zur sicheren Unterscheidung von Bienen oder Wespen allerdings nicht herangezogen werden.
Hymenopterengifte sind komplex zusammengesetzt, sie enthalten biogene Amine, Peptide und Proteine, die häufig Enzymeigenschaften besitzen. Das wichtigste Bienengiftallergen ist die Phospholipase A, in über 90 % der im Hauttest mit Bienengift positiven Patienten findet sich eine Reaktion auf dieses Enzym. Weiter als Allergene von Bedeutung sind vor allem Hyaluronidase und saure Phosphatase, ferner Allergen C und in geringerem Maße auch Mellitin. Die Zusammensetzung des Hummelgiftes ähnelt derjenigen des Bienengiftes. Die Hauptallergene in Vespidengiften sind Phospholipasen, Hyaluronidase und Antigen 5.
Epidemiologie
Gesteigerte örtliche Reaktionen bei bis zu 19 % der Allgemeinbevölkerung.
Allgemeinreaktionen bei 0,8 – 5 % der Bevölkerung.
Hauttestreaktionen oder Nachweis von spezifischen IgE-Antikörpern gegenüber Bienen- oder Wespengift bei etwa einem Viertel der Bevölkerung.
Etwa 10 – 20 erfasste Todesfälle infolge systemischer Stichreaktion jährlich in Deutschland, wahrscheinlich hohe Dunkelziffer.
Eine erhöhte Exposition ist ein wesentlicher prädisponierender Faktor für eine IgE-vermittelte Hymenopterenallergie, z.B. Imkerei, berufliche Tätigkeit im Freien, bestimmte Freizeitaktivitäten.
Bei Imkern ist das Risiko eine Allergie zu entwickeln deutlich erhöhte (14 – 35 %). Insbesondere Imker mit relativ niedriger Stichzahl von weniger als 25 Stichen pro Saison sind gefährdet, demgegenüber entwickeln Imker mit einer Stichzahl von mehr als 200 Stichen pro Jahr nie eine Allergie.
Stichreaktionen
Örtliche Reaktionen
- Umschriebene Schwellung und Rötung an der Stichstelle durch toxische Wirkung des Giftes
- Gesteigerte örtliche Reaktionen (mehr als 10 cm im Durchmesser, Persistenz für mehr als 24 Stunden) durch allergische Reaktion
Allgemeinreaktionen
- Ganz überwiegend durch Insektengift-spezifische IgE-Antikörper ausgelöste systemische anaphylaktische Reaktionen auf einen oder mehrere Stiche (Flush, generalisierte Urtikaria, Angioödem, respiratorische, kardiovaskuläre, gastrointestinale Symptomatik bis hin zum Vollbild des anaphylaktischen Schocks)
- In seltenen Fällen nicht IgE-vermittelte allergische Reaktionen oder nicht-immunologische Reaktionen mit Anaphylaxie-ähnlicher Symptomatik, ausgelöst z.B. durch ”short term sensitizing anaphylactic IgG-antibodies” oder Histamin-freisetzende Wirkung der Hymenopterengifte
- Bei sehr großer Anzahl von Stichen systemische toxische Reaktionen durch Hämolyse, Rhabdomyolyse, zentralnervöse Störungen, Niereninsuffizienz oder Leberparenchymschäden
- Sehr selten lebensbedrohliche Situation durch örtliche, toxisch oder allergisch ausgelöste, Schwellung bei Stichen im Luftbereich
- Sehr selten ”ungewöhnliche” Reaktionen unbekannter Pathogenese auf eine oder mehrere Stiche, beispielsweise Serumkrankheit, Vaskulitis, Neuropathie, thrombozytopenische Purpura
- Psychische Faktoren können eine wesentliche Rolle für den Schweregrad der Reaktion spielen
- Furcht vor Insekten und Panikattacken: im Ablauf einer allergischen Reaktion und einer Panikattacke gibt es deutliche Parallelen bezüglicher der Symptomatik wie Atemnot mit Beklemmungsgefühl, Benommenheit, Schwindel, Ohnmachtsanfälle, Schwitzen, Tachykardie, Zittern, Schmerzen in der Brust; eine klare Zuordnung wird erschwert oder unmöglich gemacht.
Schweregradskala zur Differenzierung anaphylaktischer Reaktionen | ||||
Grad |
Haut |
Gastrointestinaltrakt |
Respirationstrakt |
Herz-Kreislaufsystem |
I |
Juckreiz Urtikaria Flush |
|||
II |
Juckreiz Urtikaria Flush |
Nausea |
Dyspnoe Rhinorrhoe |
Tachykardie Hypotension |
III |
Juckreiz Urtikaria Flush |
Erbrechen Defäkation |
Bronchospasmus Zyanose |
Schock, |
IV |
Juckreiz Urtikaria Flush |
Erbrechen Defäkation |
Atemstillstand |
Herz-/Kreislaufstillstand |
Diagnostik
Anamnese
Identifizierung des auslösenden Insektes: Wespen sind aggressiver als Bienen (außer im/am Bienenstock); Bienen von Frühjahr bis Herbst, Wespen im Sommer; Bienen in der Nähe von Blüten oder Bienenstöcken, Wespen bei Nahrungsmitteln und Abfall; Bienenstachel verbleibt meist, Wespenstachel seltener in der Haut
Hauttestungen
- Testung mit kommerziell erhältlichem Bienen (Apis mellifera) und Wespengift (Vespula vulgaris, V. germanica)
- Testung frühestens 2 Wochen nach dem letzten Stichereignis
- Bestimmung der Reaktionsschwelle durch Testung mit ansteigender Konzentration
- Ablesung der Testergebnisse jeweils nach 15 – 20 Minuten
- bei schweren Reaktionen oder individuell erhöhtem Risiko (z.B. kardiovaskuläre Erkrankung) ggf. stationäre Testung
Labor
- Bestimmung der Bienengift- und Wespengift-spezifischen IgG- und IgE-Antikörper im Serum (Al.)
- Bestimmung der Mastzelltryptase
Therapie
Allgemeine Maßnahmen
Eingehende Information des Patienten über Karenzmaßnahmen zur Vermeidung neuerlicher Stiche sowie über das Verhalten im Falle eines neuerlichen Stiches. Notfallmedikation zum ständigen Mitführen und sofortiger Anwendung:
- Antihistaminikum mit raschem Wirkungseintritt
- Glukokortikoid (etwa 100 mg Prednisolonäquivalent)
- Adrenalin zur Inhalation
Hyposensibilisierung (ALK Scherax)
Die Indikation ist grundsätzlich bei jedem Patienten mit einer IgE-vermittelten systemischen anaphylaktischen Reaktion gegeben. Gesteigerte Lokalreaktionen oder ”ungewöhnliche” Reaktionen sind keine Indikation für eine Hyposensibilisierung. Zur Therapie werden zumeist wässrige Allergenzubereitungen (lyophilisiertes oder rekonstituiertes Bienen- oder Wespengift) oder an Aluminiumhydroxid adsorbiertes Gift verwendet. Der Vergleich von langsamer Aufdosierung mit dem Depotpräparat (ausschließlich von ALK Scherax erhältlich) mit der Rush-Hyposensibilisierung mit einer wässrigen Lösung spricht jedoch, sowohl was die Auslösung von systemischen als auch gesteigerten Lokalreaktionen betrifft, eindeutig für das Depotpräparat Bei Allergie auf Bienen- und Wespengift sowie bei Unklarheiten, ob der Stich einer Biene oder Wespe zu der systemischen Reaktion führte, besteht die Notwendigkeit der Behandlung mit beiden Hymenopterengifte. Bei systemischer anaphylaktischer Reaktionen auf einen Hornissenstich Hyposensibilisierung mit Wespengift, bei Reaktion auf einen Hummelstich mit Bienengift. Dauer der Behandlung 3 bis 5 Jahre. Kontrolluntersuchung vor Therapieende.
Wirkungsweise der Hyposensibilisierungsbehandlung
- Shift von T-Helferzellen (Th2 zu Th1)
- verminderte IL-4-Induktion (vorher Steigerung nach Stichen, IL-4 induziert eine IgE-Antikörperbildung)
- gesteigerte Freisetzung von INF gamma (Bildung von IgG-Antikörpern)
- deutliche Steigerung von Interleukin 10 (bremst Th2-Antwort und verhindert überschießende Th1-Antwort)
Merkblatt für Patienten mit Bienen- und Wespengiftallergie |
Karenzmaßnahmen
Verhalten bei Stichen
Medikamentöse Erstmaßnahmen Sofort bei Stich (außer nach Hyposensibilisierung):
Nach Hyposensibilisierung werden die Medikamente nur dann angewandt, wenn es wider Erwarten doch zu Beschwerden kommt. |
Literatur: 196, 197, 198, 199, 200, 201, 498, 503
Rueff et al: Specific immunotherapy in honeybee venom allergy: a comparative study using aqueous and aluminium hydroxide absorbed preparations. Allergy 59, 589-595 (2004)
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